"Meine Finger wissen, wie das geht!"

Heute habe ich Klavierunterricht mit Lisette gehabt. Es ist schon kurz vor den Ferien, die meisten Kinder sind bereits ganz müde und mögen sich nicht mehr richtig konzentrieren. Aber Lisette zeigt mir ganz stolz, wie oft sie geübt hat. Und dann spielt sie mir ihr Stück ganz selbstbewusst vor. Es ist wirklich gut geworden. Und Lisette ist selbst ganz stolz darauf.

 

Als wir dann gemeinsam ihre Klavierschule durch schauen, um ein neues Stück heraus zu suchen, sagt Lisette: „Aber du hast gesagt, das nächste Mal darf ich eine Übung spielen!“ Okay, also suchen wir nach einer guten Übung.

Wir finden „Dreiklänge und ihre Umkehrungen“. Man muss drei Töne auf einmal anschlagen, und bei jedem neuen Dreiklang verändern sich die Abstände zwischen den Tönen. Als Lisette die Umkehrungen dann spielt, findet sie automatisch die richtigen Finger-Kombinationen: mal mit dem Zeigefinger in der Mitte, dann mal mit dem Mittelfinger. Mir fällt das gleich auf, weil die meisten Schüler erst einmal probieren, die Griffe mit den selben Fingern zu spielen, obwohl sich die Abstände zwischen den Tasten verändern. Ich mache Lisette darauf aufmerksam und lobe sie dafür, dass sie das gleich heraus gefunden hat.

 

Sie schaut mich an und sagt: „Ist doch ganz klar! Meine Finger wissen, wie das geht. Die haben das gleich gefunden. Das ist, als wenn sie das schon mal gespielt haben!“

 

Ich wünsche mir als Lehrerin, meinen Unterricht so zu gestalten, dass meine Schüler genau auf diese Weise lernen können: durch ihre eigene Entdeckung. An die Stelle des Lehrers, der „weiß“, wie es geht und dem Schüler Anweisungen gibt, wie er etwas spielen soll, tritt der Begleiter, der dem Schüler ermöglicht, es selbst heraus zu finden. Die Pädagogik macht sich sozusagen unsichtbar. Sie bleibt im Hintergrund. Im Vordergrund steht der Lernerfolg des Schülers, die Entdeckung, das wunderbare Gefühl, selbst zu wissen, wie es geht.

 

Und das nächste Mal?

 

Vielleicht wird Lisette sich an die Erfahrung dieser Stunde erinnern. Vielleicht wird sie nächstes Mal aber auch eine andere Lösung finden. Schließlich ist nächstes Mal nicht heute. Nächstes Mal ist wieder alles anders.