
Der eine entlässt den Panther wieder in den Dschungel. Die andere lässt den Panther einen Freund finden. Eine Dritte lässt ihn sterben.
Wow, war das wieder spannend diese Woche!
Ich habe mit meinen Klavierschülern zu dem Gedicht "Der Panther" von Rainer Maria Rilke improvisiert.
Jeder tauchte tief ein in das Leben des Panthers hinter Gittern, jeder "wurde" ein Stück weit zu diesem Tier in Gefangenschaft. Und jeder wollte, dass es anders wird - und fand eine eigene
Lösung.
Beim Mit-Erleben dieser musikalischen Reise ins Innere bekam ich immer wieder eine Gänsehaut...
Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.
Rainer Maria Rilke, 6.11.1902, Paris
Ich konnte mit meinen Schülern erleben, wie dieser Panther in Gefangenschaft in uns allen lebt. Jeder war von ihm berührt. War traurig, wütend, die Gedanken kreisten "im allerkleinsten Kreise":
Wie komme ich hier raus? Was lässt sich verändern? Wovon träume ich, der Panther? Wo will ich hin?
Das Gedicht endet nicht mit einer Lösung, die meine Schüler zufrieden sein läßt. Jeder sucht beim Spielen, beim Improvisieren nach dem einen Ausweg.
Anna, 13 Jahre, spielt tiefe, dunkle, schwere Töne, die für den Panther in seinem Käfig stehen. Dann hält sie plötzlich inne und sagt leise: "Wenn man stirbt, sieht man da nicht ein helles
Licht?"
Ich weiß kurz nicht wirklich etwas zu sagen - dann müssen wir beide erstmal lachen, weil wir es ja nicht wirklich wissen können, schließlich war keiner von uns bisher tot... Doch wir gehen dem
natürlich nach: Wie "klingt" das weiße Licht? Wie kann man es musikalisch darstellen? Und wie kann Anna es so in ihr Stück einbauen, dass es zu den anderen Elementen passt - und ein "stimmiger"
Schluss entstehen kann?
Von innen nach außen
Improvisation geht oftmals so viel tiefer als Nach-Noten-Zu-Spielen.
Eine Berührung kommt zustande, eine Berührung in unserem Inneren, wo wir uns selbst erleben, uns spüren, tief in uns eintauchen.
Daraus entstehen dann Töne, eine musikalische Geschichte, jedes Mal neu, jedes Mal anders.
Und diese Geschichte macht es selbstverständlich, dass sie eine "Form" braucht, eine Ordnung, die aus dem eigenen Inneren nach Außen hin entsteht, ganz natürlich und absolut stimmig.
Niemand sagt dir, wie es sein muss.
Niemand sagt dir, wie es richtig ist.
Du FÜHLST es einfach.
Und wenn es stimmt, weisst du es.
Dieses "stimmige" Gefühl nehmen wir dann mit nach Hause, meine Schüler, jeder für sich, und auch ich, die Lehrerin, die Begleiterin.
In uns hat sich eine Ordnung gefügt, wir konnten sie fühlen, wir konnten sie hören.
Und das gibt uns das gute Gefühl zu spüren, was "stimmig" für uns ist.
In der Klavierstunde.
Und auch sonst im Leben.
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