
Vielleicht ist dir auch schon einmal aufgefallen, dass du beim Spielen deines Instruments den Atem anhältst, oder nur sehr flach atmest. Besonders dann, wenn du eine schwierige Stelle spielst.
Atem und Bewegung sind direkt miteinander verbunden. Indem wir lernen, uns unseres Atems während des Spielens bewusst zu werden, können wir auch schwierige technische Stellen besser meistern. Denn wenn wir beim Spielen den Atem weiter fließen lassen, können wir unsere Bewegungen wesentlich sicherer und zuverlässiger ausführen. Die Bewegungen werden dann nämlich nicht durch einen festgehaltenen Atem blockiert.
Ablauf der Übung:
Du hast in dieser Übung die Möglichkeit, deinen Körper bewusst zu spüren und deinen Atem in entspannter Haltung auf dem Boden liegend wahrzunehmen.
Je fließender dein Atem bleibt, desto mehr Sicherheit kannst du für dein Spielgefühl entwickeln.
Am besten, du druckst dir diese Übung aus, dann kannst du sie entweder schrittweise oder im Ganzen auf dem Boden liegend ausprobieren.
Für diese Übung brauchst du:
1.eine Unterlage auf dem Boden (eine Matte oder Decke)
2.ein kleines Kissen, das nicht zu hoch ist, oder
ein Handtuch, das du dir zusammengefaltet unter den Kopf legen kannst
Den Körper wahrnehmen
1. Lege dich zunächst einmal auf deine Unterlage.
Du kannst die Beine entweder lang machen, oder, wenn dir das zu unbequem im Rücken sein sollte, kannst du deine Beine zunächst auch aufgestellt lassen, so dass die Knie zur Decke zeigen. Die Füße sollten dann etwa hüftbreit auseinander stehen und die Knie parallel zueinander zur Decke zeigen. Die Knie sollten sich nicht berühren.
Nun nimm zunächst einmal wahr, wie du den Boden berührst. Wo fühlst du deinen Körper im Kontakt mit dem Boden? Spüre einmal deinen Kopf, den Nacken, die Schultern, deine Arme und Hände. Den oberen Rücken mit den Rippen, und den unteren Rücken. Liegt der auf, oder gibt es im Bereich der Lendenwirbelsäule eine kleine Wölbung?
Da unsere Wirbelsäule ja nicht flach wie ein Brett ist, sondern eine geschwungene Form hat, ist es normal, wenn der Rücken an verschiedenen Stellen auch unterschiedlich aufliegt. Du wirst im Laufe dieser Übung aber vielleicht auch beobachten, dass sich der Kontakt mit dem Boden mit der Zeit verändert.
Wie liegt dein Becken auf? Spüre einmal, ob beide Seiten des Beckens eine gleiche Auflage haben, oder eine unterschiedliche. Ist vielleicht eine Seite des Beckens schwerer? Oder liegt flacher als die andere Seite?
Wie nimmst du deine Beine wahr? Wo liegen die auf? Direkt an der Unterseite deiner Beine, oder kannst du spüren, dass sie mehr auf der Außenseite oder Innenseite des Beines aufliegen? Vielleicht ist das bei beiden Beinen sogar unterschiedlich.
Spüre auch deine Füße. Wie berühren sie den Boden?
Den Atem spüren
2. Nun wandere mit deiner Aufmerksamkeit einmal zu deinem Atem hin. Spüre den Rhythmus des Ein- und Ausatmens. Wo nimmst du den Atem in deinem Körper wahr? Im Brustraum? Im Bauch? Du kannst einmal deine Hände auf deine unteren Rippen legen, die linke Hand auf die linken Rippen, die rechte auf die rechten, etwas höher als wo dein Bauchnabel ist. Dort kannst du spüren, ob dein Atem auch deine Rippen bewegt. Nimm auch einmal wahr, ob sich beide Seiten gleichzeitig bewegen. Oder ob vielleicht beim Einatmen die rechte oder linke Seite sich zuerst auszudehnen beginnen. Und wie ist es beim Ausatmen? Gibt es da eventuell auch einen Unterschied? Bewegt sich eine Seite der Rippen vielleicht schneller?
Stell einmal deine Beine auf und beobachte, ob sich die Auflage deines Körpers auf dem Boden verändert. Nimm auch wahr, ob sich vielleicht sogar dein Atem verändert.
Mit dem Atem "spielen"
3. Jetzt kannst du einmal Folgendes ausprobieren: Wenn du eingeatmest hast, dann halte deinen Atem kurz an. Du musst nicht tiefer atmen, als du es ganz automatisch tust – halte einfach für ein paar Sekunden deinen Atem an und nimm dabei wahr, ob sich der Kontakt deines Rückens mit dem Boden verändert. Hat dein Rücken vielleicht mehr Bodenkontakt, wenn du eingeatmet hast? Oder weniger?
Dann lasse deinen Atem wieder weiter fließen.
Diese Wahrnehmungsübung kannst du nun ein paar Mal wiederholen:
Atme ein, halte deinen Atem kurz an, nimm wahr, ob sich der Kontakt deines Rückens mit dem Boden verändert, und dann atme sanft wieder aus.
Wenn du das vier- oder fünf Mal gemacht hast, atme einfach „normal“ weiter.
Wie atmest du jetzt? Wo kannst du die Bewegung deines Atems im Körper spüren?
Und nun probiere es etwas anders:
Das nächste Mal, wenn du ausgeatmet hast, halte deinen Atem kurz wieder an. Lass dann deinen Atem in dem Moment wieder in dich hineinkommen, wo du spürst, dass der Atemimpuls einsetzt, wo du merkst: „o ja, jetzt möchte ich wieder einatmen.“ Dabei kannst du einmal fühlen, wie sich dein Atem in deinem Körper ausbreitet. Welchen Weg er sich sucht.
Auch diese Übung kannst du drei- vier- fünfmal machen, und dann wieder normal weiter atmen.
Wichtig ist hierbei, dass du nichts erzwingen willst: dass du weder zu tief atmest, oder deinen Atem zu lange anhältst. Es geht bei dieser Übung nicht um irgendeine Form von Atemkontrolle, sondern es geht darum, Bedingungen zu schaffen, unter denen wir unseren Atem beobachten können. Dadurch entsteht automatisch Raum dafür, dass sich der Atem neu organisiert, und mit dem Atem gleich auch unsere ganze Haltung und unsere Fähigkeit, uns ohne Einschränkungen oder Verspannungen zu bewegen. Denn die Muskulatur der Atmung ist mit unserem gesamten Bewegungssystem, all den anderen Muskeln, den Knochen und Sehnen, verknüpft. Wenn wir an einer Stelle eine neue Organisation des Bewegungsapparates ermöglichen, und das tun wir, in dem wir beobachten und auf diese sanfte Art und Weise ausprobieren, verändert sich unser gesamtes System zum Positiven. Es ist, als wenn unser Nervensystem nur darauf wartet, durch aufmerksame Beobachtung Erfahrungen zu sammeln und auszuwerten, um ein optimales Funktionieren einzuleiten.
Zum Körper zurück kehren - und zum Instrument
4. Nun mache deine Beine wieder lang. Wie liegt jetzt dein Rücken auf? Wie nimmst du deinen Atem wahr?
Je öfter du mit deiner Aufmerksamkeit so deinen Körper wahrnimmst, desto deutlicher werden deine Beobachtungen. Desto schneller nimmst du auch kleinste Veränderungen wahr. Und vor allem lernst du, dass du dich nicht anstrengen musst, um eine Veränderung der Qualität deiner Bewegungen, und letztlich deines Instrumentalspiels (oder deines Gesangs) vorzunehmen. Unser Körper ist so konzipiert, dass er VON ALLEINE die Korrekturen vornimmt, die notwendig sind, um unsere Bewegungen, und damit unseren Ausdruck zu optimieren. Im Liegen mit dem Spüren zu beginnen, ist ein guter Weg, weil sich zunächst einmal alle Muskeln entspannen können.
Jetzt setz dich ganz langsam auf. Nimm dein "neues" Körpergefühl mit zum Klavier. Beobachte, wie es sich jetzt anfühlt, am Klavier zu sitzen. Hat sich etwas verändert? Wie fühlst du dich
jetzt? Nimm das einen Moment wahr. Auch wenn du noch keinen Ton gespielt hast, so hast du einen wichtigen Schritt dafür getan, dass sich dein Klavierspiel positiv verändern
kann.
Viel Spaß dabei!
Hast du eine Frage zu der Übung? Du kannst sie mir gerne im "Kommentar" stellen!