Klavier spielen lernen dauert lange – lohnt es sich überhaupt, als Erwachsener damit (wieder) anzufangen?

Ein Instrument spielen lernen – das kann man nicht, indem man mal eben einen Wochenendkurs besucht. Man kann es auch nicht lernen, indem man regelmäßig 1x pro Woche zum Unterricht kommt. Klavier spielen lernen heisst, sich wirklich über einen längeren Zeitraum hinweg auf das Instrument einzulassen: regelmäßig üben, dran bleiben, auch wenn´s nicht gleich so klappt wie gewünscht.

Das ist die schlechte Nachricht. ;-))))

Die gute Nachricht ist: man wird für die eigene Hartnäckigkeit belohnt, und zwar in vielerlei Hinsicht.

Klavier spielen lernen heisst vor allem nämlich auch: Entdeckungen zu machen.

 

 

Neues entdecken - an der Musik und an mir selbst

Eine neue Musik zu entdecken, einen neuen Klang, einen neuen Rhythmus. Herauszufinden, wie sich Melodie und Begleitung gegenseitig unterstützen, wie sie miteinander verwoben sind. Wie ergänzen sich die rechte und die linke Hand? 

 

Klavier spielen lernen bedeutet vor allem aber auch: sich selbst besser kennen zu lernen. Neue Seiten an sich zu entdecken – z.B. indem ich ein Stück unterschiedlich interpretiere. Ich entdecke das ganz Leise, Stille, Lyrische, nicht nur in der Musik, sondern auch in mir. Ich entdecke das Laute, Extrovertierte, meine kraftvolle Seite – alles kann hier seinen Ausdruck finden. In jedem Stück Musik finde ich mich neu. Und manchmal erfinde ich mich auch neu.


Grenzen überschreiten

Das heisst aber auch, dass wir Grenzen überschreiten, die wir uns sonst zumeist selbst auferlegen. Wahrscheinlich ist es ganz gut, dass nicht jeder im Straßenverkehr seine Extrovertiertheit heraus lässt, indem er andere mit ständigem Hupen verunsichert. Oder seine lyrische Seite auf der Autobahn auslebt, indem er dort Tempo 30 fährt...

Oft sind wir es jedoch so gewohnt, uns „normal“ zu verhalten, dass wir vergessen, dass unter unserer Fassade so viel mehr schlummert, das gesehen und gelebt werden möchte. Da wir uns in unserer Lebenswelt gut an das „Normalsein“ angepasst haben, ist es immer wieder ein neuer Schritt, diese Grenzen zu überschreiten: Darf ich so laut sein? Auch mal frustriert, auch mal traurig? Darf ich „nicht perfekt“ sein? Suchend, zweifelnd, tastend?

 

Neue Wege gehen

JA. Auf jeden Fall. Jedes Mal, wenn wir bereit sind, uns darauf einzulassen, dass nicht alles gleich wie am Schnürchen klappt, passiert folgendes: wir lernen nicht nur, einen neuen Weg zu finden, einen, den wir bisher noch nie gegangen sind. Sondern jedes Mal, wenn wir uns darauf einlassen, nicht zu wissen, wir es geht, wird unsere Musik ehrlicher. Tiefer, reichhaltiger. Sie hat mehr zu erzählen. Von uns. Vom Lernen. Vom Leben.

Und das hört man in jeder Note. Die Musik ist eine andere geworden. Wir selbst sind ein anderer/eine andere geworden.

Diese Reichhaltigkeit des Entdeckens und Erfahrens kann uns kein Wochenendkurs bieten und auch kein youtube-tutorial.

 

Klavier spielen ist eine stete Bewegung. Eine Bewegung, die uns immer tiefer und weiter hinein führt, ins eigene Leben, ins eigene Sein. Es lohnt sich, sich darauf einzulassen. Den Mut zu haben anzufangen. JA dazu zu sagen, immer wieder etwas Neues zu entdecken. Wieder von vorne zu beginnen und anders heraus zu kommen.

Und sich zu freuen, wie reich uns die Musik immer wieder beschenkt - ganz egal, wie perfekt oder unperfekt wir unser Spiel selber finden mögen.