Was "Tönen" bewegt - und über die Balance zwischen Ruhe und Bewegung

Seit ein paar Wochen „töne“ ich gerne wieder. „Tönen“ ist eine Art „Singen ohne festgelegte Tonhöhe“ oder generell ohne festgelegte Parameter wie Lautstärke, Tonqualität etc. Und das geht so: anstatt dass man einer bestimmten Vorstellung davon folgt, wie die Stimme klingen soll, beginnt man einfach damit, Töne von sich zu geben, so, wie sie einem gerade angenehm sind. Interessanterweise entsteht sehr schnell eine eigene Dynamik in diesem Prozess: die Stimme sucht sich ihre eigenen Wege durch tiefste Tiefen oder höchste Höhen, die Muskulatur wird immer gerade dort besonders durchgeknetet, wo sie es am meisten gebrauchen kann und ich erlebe ein schier unerschöpfliches Ausdrucksrepertoire, das so ursprünglich ist wie die Stimmübungen eines Babys.

Beim Tönen wird man sehr schnell in Kontakt geführt mit seinen Ausdrucksmöglichkeiten, aber auch mit den Blockaden, die den Ausdruck behindern. Als ich vor drei Jahren einen Workshop im Tönen besuchte, war ich zunächst sehr begeistert und inspiriert. Das Problem mit dem Tönen – und mit vielerlei anderen Kreativitäts-Methoden – ist, wie ich finde, dass man oft für kurze Zeit einen Zugang zur eigenen Spontaneität findet, und damit auch erste Erfolge dabei verzeichnen kann, die eigene Kreativität zu beleben. Aber dann verläuft der erste Enthusiasmus oft im Sande. Warum?

 

Wenn wir einen Zugang zu der Lebendigkeit unserer kreativen Kraft finden, heisst dies zugleich auch immer, dass wir den alten Blockaden begegnen, die sich im Laufe unseres Lebens über unserer Kreativität angelagert haben. Das ist dann der Punkt, an dem wir meistens nicht weiter gehen, weil wir denken, wir haben etwas falsch gemacht. Aber gerade an diesem Punkt wird es interessant und wir können unseren „dunklen Flecken“ bewusst begegnen. Wir haben die Möglichkeit, sie los zu lassen und dadurch mehr Kreativität durch uns hindurch fließen zu lassen.

 

Ich glaube, was vielen Kreativitäts-Methoden fehlt, das ist ein Fundament emotionaler Stärke, das einem dabei hilft, auch die herausfordernde Seite des Prozesses gut zu durchleben und an ihr zu wachsen, anstatt davor zurück zu schrecken. Anstatt also nur die „dynamische“ Seite Kreativität zu erleben, ist es wichtig, die ruhige, konstante Qualität unserer Kreativität immer wieder wahrzunehmen. Ich tue dies, indem ich mich mit meinem Atem verbinde und die stille Kraft fühle, die ihm innewohnt. Das klingt so einfach (ist es auch!), und doch hat unser Atem eine so tiefgehende balancierende Kraft, wenn wir ihm bewusst begegnen.

 

Wenn ich jetzt töne, spüre ich, dass etwas da ist, was mich trägt und hält, anstatt mich durcheinander zu wirbeln. Ich fühle mich getragen und kann die Dynamik des Tönens wirklich genießen.