
Als ich vor drei Jahren meine Homepage erstellte, hatte ich immer wieder dieses Bild von einem Schneckengehäuse vor Augen. Irgendwie wusste ich zwar, dass das schon etwas mit dem Inhalt meiner Seite zu tun hat – ich verstand bloß nicht, was. Zunächst hatte ich dann ein paar spiralförmige Schneckenhausbildchen über die Webseite verteilt. Die einzige Assoziation, die ich mit „Schneckenhaus“ herstellen konnte, war: Langsam machen wie eine Schnecke. Irgendwie erschien mir das nicht besonders werbewirksam im Hinblick auf das Lerntempo, das mein Unterricht ermöglichen sollte....(obwohl: SLOW FOOD ist ja mittlerweile sehr erfolgreich, vielleicht sollte ich SLOW PLAY als Marke einführen ;-))))
Ich habe die Schneckenbildchen dann nach und nach wieder gelöscht.
Vor ein paar Wochen machte es bei mir endlich "klick" in Bezug auf meine Schneckenhäuschen, als ich Rahmen meines Unternehmenscoachings wieder auf die Spiralform stieß, und ich verstand den Zusammenhang zwischen meinem Unterrichtsangebot und der Spiralenform des Schneckenhauses:
Lernen, so wie ich es verstehe und unterrichte, ist keine lineare Angelegenheit. Es ist nichts, wo man von A nach B geht, z.B. indem man ein Stück spielen lernt, und das Ganze damit abgeschlossen und beendet wäre. Vielmehr ist Lernen ein komplexer, vielschichtiger Vorgang, der den Menschen auf allen Ebenen seines Seins berührt und beschäftigt. Lernen ist ein multidimensionaler Prozess. Und man bewegt sich immer weiter nach oben, selbst wenn man manchmal das Gefühl hat, im Kreis zu laufen und doch wieder an derselben Stelle anzukommen....
Und tatsächlich hat sogar die Langsamkeit der Schnecke durchaus ihre positiven Seiten in Bezug auf das Lernen: Wenn ich z.B. ein Stück schnell und oberflächlich erlerne, habe ich vielleicht einen schnellen Erfolg – meist aber auch einen, der mich irgendwann langweilt und nicht „satt“ macht. Wenn ich dagegen langsam mache und mich auch auf die tiefen, herausfordernden Prozesse einlasse, dann ist Lernen im besten Sinne Ent-Wicklung.
In Bezug auf Lernen ist „Langsam“ eben in Wirklichkeit das neue „Schnell“.
Übefokus: Die Langsamkeit erleben
Setze dich ans Klavier. Nimm erst einmal wahr, wie du sitzt: wie deine Füße den Boden berühren, wie deine Sitzhöcker vom Klavierhocker gehalten werden. Lass dich von diesem Halt tragen, lass deinen Körper in diesen Halt hinein sinken. Die Schultern können weich werden, die Arme, die Hände. Der Atem kann weich fließen.
Und nun drücke einmal das rechte Pedal runter und halte deinen Fuß drauf.
Jetzt spiele mit beiden Händen auf den schwarzen Tasten irgendeinen Cluster-Klang. Lass diesen Klang durch das Pedal schön lang liegen - und zwar so lange, bis du ihn nicht mehr hören kannst. Dann nimm noch einen Moment lang die Stille wahr - und schlage einen weiteren Klang an. Genieße deinen Klang, höre in ihn hinein.
Wie fühlst du dich dabei? Kannst du dich in den Klang hinein sinken lassen, ihn in dir aufnehmen? Oder wirst du unruhig dabei?
Das nächste Mal, wenn du einen neuen Klang anschlägst: fühle deinen Atem und deinen Körper. Spannst du dich an, oder kannst du dich auf das Hörerlebnis einlassen?
Wenn du diese Übung öfter wiederholst, können deine Ohren sich auch für Ungewohntes, ja für "Unerhörtes" öffnen. Du kannst dann auch die Stücke ganz neu wahrnehmen, die du vielleicht schon eine Weile spielst.