
Vor ein paar Wochen war mein Klavierstimmer Martin Rembeck mal wieder da. Das Tolle an Martins Stimmungen ist nicht nur, dass er dem Klavier mit ganz viel Fingerspitzengefühl wieder seinen Klang zurück gibt, sondern vor allem auch, dass Martin eine Art musikalischer Philosoph ist, der mich mit seinen Gedankengängen jedes Mal inspiriert.
„Machen wir uns doch nichts vor, Nele“ sagt Martin, „Klavier ist ein einfaches Instrument: du drückst die Taste runter und schon kommt der Ton. Das kann nun wirklich jeder. Aber Musik – Musik ist etwas anderes. Musik ist das, was zwischen zwei Tönen passiert.“
Irgendwie war mir oberflächlich betrachtet zwar klar, was Martin meint, aber - was ist dieses Etwas, das da zwischen zwei Tönen die Musik lebendig werden lässt?
Zwischen zwei Tönen ist vor allem eines: Stille.
Ich habe begonnen zu beobachten, wie diese Stille klingt.
Kann ich sie hören?
Ich kann die Stille erfahren, während ich mir Fragen über ihre Qualität stelle: wie nehme ich mich selbst in der Stille wahr? Wie fühlt sich mein Körper an? Wie fühle ich mich? Wie atme ich? Was höre ich?
Letztlich ist es ja so, dass alle Musik aus der Stille kommt und in die Stille zurück sinkt. Das können wir uns klar machen, wenn wir uns vorstellen, in einem Konzert zu sitzen. Kurz bevor der Dirigent den Taktstock hebt und das Orchester loslegt, ist da diese Stille, in der die Musik, die gleich erklingen wird, irgendwie schon fast hörbar, fast spürbar ist.
Dann kommt das Konzert. Und irgendwann kommt der letzte Ton, der letzte Akkord. Und dann, kurz vor dem Applaus, hören wir sie wieder: die Stille.
Eine Stille, die erfüllt ist von dem, was eben war. Von den Klängen, von der musikalischen Reise, die wir unternommen haben, von dem, was sie in uns bewegt hat.
Ich kann diese Stille nicht definieren. Aber ich kann sie hören. Ich kann mich öffnen, um sie zu fühlen, um sie ein Teil der Musik werden zu lassen, um die Musik „stimmiger“ werden zu lassen. Es ist wie im fernöstlichen Yin und Yang: zum Klang gehört die Stille, wie die Stille zum Klang gehört. Denn eben auch in der Musik finden wir sie: zwischen zwei Tönen, und sei die Lücke zwischen den beiden Tönen noch so klein, da finden wir die Stille, die die Musik erst lebendig werden lässt.
Übefokus: Stille
Wenn du magst, kannst du auch einmal die Stille um die Musik herum wahrnehmen:
Nimm dir ein Stück, an dem du gerade übst. Lass dir Zeit, bevor du beginnst, es zu spielen. Höre erst einmal auf die Stille. Wie nimmst du sie wahr? Was hörst du?
Und dann: Spiel dein Stück. Wie klingt es jetzt? Hörst du es vielleicht mit anderen Ohren?
Wenn du fertig bist, gehe nicht gleich dazu über, das Stück noch einmal zu üben. Sondern lass dir Zeit. Wie fühlst du dich jetzt? Klingt die Stille vielleicht ein wenig anders als VOR deinem Stück? Was hörst du jetzt?