Beim Üben anwesend sein

Als ich heute Morgen am Klavier saß und übte, merkte ich nach einer Weile, dass ich irgendwie gar nicht richtig bei der Sache war. Meine Gedanken schweiften ständig hierhin und dorthin und meine Finger bewegten sich nur mechanisch über die Tasten. 

Also fing ich an, mich selbst erst einmal wahrzunehmen: Wie sitze ich? Wie berühren meine Füße den Boden? Wie fühle ich mich eigentlich? Gestresst? Angespannt? Wie nehme ich meinen Atem wahr? Kann ich ihn überhaupt fühlen in diesem Moment?

Dann begann ich, in meine Wahrnehmung mein Klavierspiel mit hinein zu nehmen: Wie fühlt es sich an, diese Passage mit den schnellen Tönen zu spielen? Fühle ich mich sicher? Wo könnte es noch runder laufen? Und: Wenn ich schnell spiele, kann ich mich dann noch selbst fühlen? Kann ich meinen Atem dann spüren? Meine Verbindung zum Boden und zum Stuhl?

Allmählich bemerkte ich, dass ich selbst wieder im Üben anwesend war. Und dass der Übeprozess auf diese Weise zufriedenstellend und erfüllend wurde.

 

Und mir wurde noch einmal klar, wie sich meine Schüler sicherlich häufig fühlen, wenn sie zu mir in die Klavierstunde kommen, vielleicht gerade vom Turnunterricht oder einer späten Schulstunde, und nun dasitzen und sich sofort auf das Instrument einlassen sollen. Sich konzentrieren können sollen. Sich ausdrücken können sollen. Quasi auf Knopfdruck.

 

Dieser Weg hin zum Instrument, indem ich mich erst einmal selbst wahrnehme, auch dies kann ein wichtiger Unterrichtsinhalt sein. Und wenn er die ganze Stunde einnimmt, egal. Wenn es uns auch nur einmal gelingt, bei dem, was wir tun, wirklich anwesend zu sein, dann verändert dies die Qualität des Übens vollkommen: Aus einer mechanischen Übung wird eine sinnerfüllte, kreative Handlung.