Lernen heisst Erforschen III: Wie Klavier-Fingersätze erfahrbar werden, und wie wir sie spielend leicht lernen

Meinen kleinen und großen Schülern kommen oftmals ganz tolle Ideen, auf die ich selbst nicht kommen würde. Denn jeder lernt anders, hat andere Stärken. Und auch die Lehrerin weiss nicht alles....

 

Heute erzähle ich davon, wie die kleine Caro ein "Fingerlied" erfunden hat, um sich die Fingersätze selbst beizubringen, die wir zum Klavierspielen brauchen.

 

Ich staune immer wieder darüber, mit wieviel Intelligenz die Kinder daran gehen, sich etwas Neues anzueignen. Als Lehrerin muss ich gar nicht viel dafür "tun", dass meine Schüler etwas lernen. Oftmals ist es gerade eine aufmerksame, nicht eingreifende Haltung meinerseits, die es möglich macht, dass auch ganz tiefgreifende Lernprozesse geschehen. Und dann geht alles - wie ein Kinderspiel....und das können wir für uns nutzen, egal ob wir Kinder oder Erwachsene sind.

 

 

Kreativ lernen....ist für Kinder ein "Kinderspiel"

Caro kommt heute zu ihrer dritten Klavierstunde. Wir beschäftigen uns heute mit dem „Fingersatz“ - den brauchen wir beim Klavierspielen ganz viel: Wir haben fünf Finger an einer Hand und nummerieren die Finger. Dann können wir an die Noten eines Stückes unsere „Fingersätze“ schreiben: welcher Finger spielt welchen Ton?


Der Daumen bekommt die Eins, der Zeigefinger die Zwei, der Mittelfinger die Drei, der Ringfinger die Vier und der Kleine Finger? Ihr dürft mal raten....


Caro legt ihre eine Hand auf ein Blatt Papier und malt mit einem Stift die Umrisse der Hand auf. Dann schreiben wir die Nummern an die Finger ran.

Plötzlich hat Caro die Idee, ein Lied zu jedem Finger zu erfinden, denn Caro singt unheimlich gerne und hat ganz viele Ideen für kleine Geschichten und Reime in ihrem Kopf.


Und hier sind Caros Finger-Lieder:

 

1 Der Daumen der sagt: „Ja, das machen wir zusammen!“

2 Der Zeigefinger sagt: „Nein nein nein, das macht man nicht, das ist nicht gut!“

3 Mittelfinger: „Ich trage was, das ist gut, ich kann was tragen.“

4 „Ich bin der Ringfinger, ich bin zwar klein, aber ich trage das Ringlein fein.“

5 Der kleine Finger, der sagt: „Ich bin klein, aber ich kann helfen!“

 

 

 

Lernen mit Kopf, Herz und Körper

Als ich nach der Stunde noch einmal das Blatt in die Hand nehme, auf das wir die Finger-Reime aufgeschrieben haben, wird mir erst richtig bewusst, wie viel ganzheitliche Intelligenz in Caros Lied zutage tritt, die dafür sorgt, dass sie die Fingersätze eben nicht nur mit dem Kopf verstanden hat. Statt dessen konnte Caro "ganzheitlich" lernen: mit Kopf, mit dem Herzen und mit ihrem Körper.

Sie hat ein gefühltes Wissen über Funktionsweisen und Zusammenhänge, die in der Hand „stecken“, für sich genutzt: Jeder Finger hat seine eigene Aufgabe. Das hat sie erkannt und zu einem Lied werden lassen.


Es wird ja immer behauptet, Musik machen würde die Intelligenz in besonderer Weise fördern. Heute verstehe ich mal wieder an einem ganz konkreten Beispiel, warum das wohl so ist.

Nicht unbedingt, weil die Musik irgend etwas „Neues“ vermitteln kann. Sondern weil Musik machen einen Raum bieten kann, in welchem wir mit unserem bereits vorhandenen Wissen in Berührung kommen können. Weil wir spüren können, was sich richtig, was sich natürlich anfühlt.


 

Diese Erkenntnis können wir für uns nutzen, egal wie alt wir sind: Wir können uns mit dem in uns gespeicherten Wissen verbinden und es für uns arbeiten lassen. Wenn du das einmal ausprobieren möchtest - hier kommt eine kleine Übung für dich:

 

Und jetzt du:

 

Spüre einmal in Ruhe in deine Hand hinein.

Nimm sie wahr, ihre Form, ihre Struktur, die Knochen, die Muskeln, die Haut drum herum.

Schließe dabei die Augen. Fühle deine Hand von innen.

Und dann nimm einmal jeden Finger für sich wahr.

Wie fühlt er sich an, wie bewegt er sich?

Was sind seine Stärken?

Was kann er für die Funktionsweise der ganzen Hand beitragen?

Jeder Finger ist anders. Kannst du ihn dafür schätzen?

 

Wenn du die "gespürte" Hand einmal mit der anderen vergleichst: Wie fühlt sich diese Hand jetzt an? Größer, wärmer, entspannter? Oder noch ganz anders?

Was "erzählt" dir jeder Finger?

 

 

 

 

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Lernen heisst Erforschen I: Der Klang von Luft

Lernen heisst Erforschen II: Der Violinschlüssel - und wie Kinder uns beibringen, Dinge auf Neue Art zu sehen