Nachreifen

Heute ist ein windiger, regnerischer Tag. Immer wenn wir draußen waren, fing es an zu schauern. Der Schnee ist geschmolzen und langsam sind auch die ersten Frühblüher zu sehen. Wenn wir am Benther Berg hoch schauen, ahnt man bereits einen Hauch von Grün in den Sträuchern und auf den Feldern. Irgendwie scheint es jedenfalls nicht mehr ganz so grau. Aber der Frühling lässt sich viel Zeit dieses Jahr. Und ich genieße es. Es ist so, als wenn die Natur sagt: „Schau Nele, du musst dich gar nicht so beeilen. Lass alles langsam angehen. Lass es langsam wachsen. So wie ich! Alles entwickelt sich bereits. Es ist nur noch nicht sichtbar. Aber vertrauen kannst du darauf! JEDER weiß, dass nach dem längsten Winter irgendwann der Frühling kommt.“

Ich male heute mal wieder. Ich habe gestern klein angefangen, in meinem Tagebuch, ein paar Striche nur. Und dann heute der Impuls: ich brauche ein größeres Blatt. Dann kamen (ein paar wenige) Farben dazu. Dann Musik. Es darf sich alles entwickeln. Es muss nichts Fertig werden. Es muss nichts schön aussehen. Ich darf mich einfach meinem Tun hingeben.

 

Ich fühle in mich hinein, und spüre, dass ich drei Jahre alt war, als ich das letzte Mal so gedankenverloren gekritzelt habe. Dann kamen wohl die Stimmen von außen: „Nein, so musst du das nicht machen. Mal doch mal einen Baum. Und hier, eine gerade Linie, mal mal eine gerade Linie.“ Was auch immer diese Stimmen sagten, sie versagten mir die Möglichkeit, in Ruhe einfach das zu malen, was mir Freude bereitet. Zu kritzeln, so lange und so viel ich möchte. Irgendwann ist dieser natürliche Prozess unterbrochen worden und damit auch das Vertrauen darein, dass es nichts zu tun gibt, außer dieser inneren Freude zu folgen.

 

Ich spüre die Dreijährige in mir, die noch ganz ist. Ganz im Vertrauen darauf, dass es ausreicht, im Moment zu sein und den inneren Impulsen zu folgen. Darauf zu vertrauen, dass für mich gesorgt ist. Dass das Universum für MICH da ist, dass es mich trägt, dass es mich hält, und ich mich ausdrücken darf. So wie ich möchte. Alles ist richtig.

 

Manchmal erinnert auch uns Erwachsene eine Tätigkeit daran, dass wir dort hin wollen, wo wir eigentlich herkommen. Die Kinder können uns den Weg zeigen, wenn wir ihnen aufmerksam zuhören.

 

Es gibt diese Gelegenheit, etwas von dem nachzuholen, wo wir damals unterbrochen worden sind. Unsere Kreativität, unser inneres Wissen, unsere Lebendigkeit können wieder entdeckt werden. Indem wir dem spielerischen Tun mehr Raum geben.

Es ist wie ein Nach-Reifen unserer schöpferischen Freude. Nicht, weil unsere Schöpfung gleich vollkommen sein muss. Sondern weil wir sind wer wir sind: Schöpfer, Kinder, Menschen, lebendige Wesen, eingebettet in ein unendliches Universum, das nicht irgendwo da draußen ist, sondern in uns selbst.